Zivilcourage und Glaubensmut ein Beitrag von Pfr. Jürgen Schwartz

Zuletzt aktualisiert am 2. Februar 2022

Pfarrer Jürgen Schwartz

Liebe Leserinnen und Leser!

Mauern trennen sie voneinander. Während er im Innenhof seine Runden dreht, steht sie außerhalb derselben. Da hört er ein Pfeifen; ihre Melodie: „Wem Gott will rechte Gunst erweisen“. So sagt sie ihm: Ich bin da. Gib nicht auf.

Ortswechsel. Mitten im Lesen hält er inne. Szenen seines Lebens ziehen vorbei: Da ist seine Frau; er sieht seine zwei kleinen Söhne, auch Haus und Hof, den großen Garten und viele Freunde. Ja, er ist gesegnet. Ihm und den Seinen ging es gut. Seine Arbeit machte ihm Freude, weil er anderen helfen konnte. Das war und ist seine Grundhaltung: Wem es gut geht, trägt in besonderer Weise Verantwortung; der muss Unrecht entgegentreten; der setzt sich für ein friedliches Miteinander ein; alle Menschen, egal woher sie kommen, sind gleich; sie sind Brüder und Schwestern.

Dieser christlich-humanen Grundhaltung ist er verpflichtet; sie hat er in seiner Familie nicht nur kennen- und schätzen gelernt, sondern auch vorgelebt bekommen und lebt sie nun selbst: Zivilcourage gepaart mit der Haltung der absoluten Menschenfreundlichkeit und Zuversicht.

Daher konnte er sich mit dem Regime des Nationalsozialismus nicht abfinden. – Um sich sammelt er einen Kreis von Menschen, die darüber nachdenken, wie mit friedlichen Mitteln ein gerechtes Staatswesen angestrebt werden kann.

Doch dann wird er verhaftet. Er sitzt in einer kleinen und kalten Gefängniszelle. Anders als die übrigen politischen Gefangenen erbittet er keine Zeitungen oder Bücher, sondern nur die Bibel, das Gesangbuch und die biblischen Losungen. Zeile um Zeile liest er – wieder und wieder. Es gibt Sätze, die ihn in besonderer Weise ansprechen: „…wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen. Denn ich  bin der Herr, dein Gott …“ (Jesaja 43,2-3).

Er, der so viel weiß, der schon so viel gelesen hat, der bisher gar nicht so „kirchlich-fromm“ war, lässt sich von den alten Worten des Gottvertrauens erfüllen. – Aus den uns erhalten gebliebenen Briefen geht hervor, wie er selber immer wieder darüber erstaunt ist, wie ruhig und heiter er sich fühlt, wie nahe ihm Gott ist und dass er sich – trotz der Trennung von seiner Familie und seinen Freunden und trotz des Gefängnisaufenthaltes – geborgen und getragen weiß; und dass selbst das laute Geschrei der anderen, später auch von dem obersten Nazirichter, ihn nichts anhaben und ihn nicht erschüttern können. Er weiß, dafür hat er gelebt – mit Gottes Kraft … um im Duell mit dem Bösen – in innerer Klarheit und Freiheit – standzuhalten. So kann er getrost auch dem Galgen entgegen gehen.

Am 23. Januar 1945 wird Helmut James Graf von Moltke in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

Es gibt viele gute Gründe, sich an ihn zu erinnern:  Wegen seines beispielhaften Mutes und seiner Grundsätze; dass er sich – in mittleren Jahren –  von der biblischen Botschaft von einem menschenfreundlichen Gott, der will, dass allen Menschen geholfen werde, berühren ließ; dass man von „Wasser- und Feuererfahrungen“ nicht verschont bleibt; dass die Gewissheit ihn getragen hat, „dass wir in Gottes Liebe … immer vereint sein werden“, wie er – gleichsam als Vermächtnis – seinen Söhnen im Oktober 1944 schreibt.

Zur Person
Jürgen Schwartz ist Pfarrer in den evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden Lastrup und Lindern