Einer der schönsten Sätze in der Bibel beginnt so: „Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer …“ Fliegen ist ein uralter Traum der Menschheit. Wir Menschen sind zwar immer noch nicht so weit. Aber wir haben mittlerweile Flugzeuge. Die uns in ferne Länder fliegen. Dieser Traum hat sich erfüllt. Immer mehr Flieger heben vom Boden ab. Bringen Sonnenhungrige und Erholungssuchende in die Sonne, in den Süden. Nach Übersee oder an andere weit entfernte Orte.
Wie beispielsweise auch die Cook-Inseln. Weit weg. Im Pazifik. In der Mitte des polynesischen Dreiecks. Nordwestlich von Neuseeland. 15 Inseln. Die nördlichen sind Atolle, auf versunkenen Vulkanen ruhend. Die südlichen Vulkaninseln. Ein Gebiet mit hoher seismischer Aktivität. Auf dem pazifischen Feuerring. 15.000 Menschen leben dort. Die Christinnen von den Cook-Inseln wählten den Psalm 139 für den diesjährigen Weltgebetstag. Mit dem wunderbaren Vers: „Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten“.
Die Frauen von den Cookinseln verbinden Geschichte, ihre Maorikultur und ihre besondere Sicht auf das Meer und die Schöpfung miteinander. Mit „Kia orana“ grüßen die Frauen. Wünschen einander so ein gutes, erfülltes Leben. Am kommenden Freitag, 7. März, finden in vielen Gemeinden die oikumenischen Gottesdienste zum Weltgebetstag statt. Liebevoll vorbereitet. Sie sind herzlich willkommen.
„Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten“.
Verstehen Sie, was das bedeuten soll? Keine Ahnung, was die Flügel der Morgenröte sein sollen. Keinen Schimmer, wo das äußerste Meer liegen könnte. Ich lese diese Zeilen. Schaue auf die Worte. Verstehe nicht richtig. Und bin doch verzaubert. In den Tiefen meiner Seele berührt. Angerührt.
„Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten“. Sofort breitet meine Seele ihre Flügel aus. Und ich sehe tatsächlich, dass sie rot sind, meine Flügel. Und durchscheinend, wie Feuer und Gold. Und auf der anderen Seite zum Himmel hin werden sie purpur und dann ganz dunkel violett. Und sie reichen von dem einen Ende des Himmels bis zu dem anderen. Zart und weit. Wie Seide und wie der Morgennebel. Meine Seele können sie wohl tragen und meine Wünsche. Und die Sehnsucht und die Erinnerung an einen Traum an frühem Morgen.
Und auf diesen Flügeln geht der Flug bis ans äußerste Meer. Dahin, wo fast nichts mehr ist. Nur Stille und Frieden und Glück. Da am allerletzten trittbreit Land, vor einer unendlich weiten See. Auf dem allerdünnsten Zweig, ganz oben auf dem allerhöchsten Baum. Wo die Sterne näher sind als sonst wo. Wo niemand sonst ist und sein kann. Nicht einmal du, außer in deiner Phantasie. Da ist immer noch Gott. Mit starker Kraft. Mit ganzer Stärke. Voll unerschöpfter Liebe. Wie am ersten Tag, als Gott dich sah. Und begann, dich zu lieben.
Da ist immer noch Gott. „Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten“. In der Poesie liegt die Wahrheit hinter den Worten. Ich verstehe nichts. Und begreife doch alles. So soll es sein: dass bei allem, was war, es am Ende gut wird. Und leicht. Und schwebend. Als flögen wir zu Gott in den Himmel.
„Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten“.
Hoffentlich gibt so eine Reise auf den Flügeln der Morgenröte uns allen neue Kraft! Eine leise Ahnung davon, wie es sein wird bei Gott. Ein Gefühl von dem Frieden in uns, den Gott für uns bereithält. Dass wir uns Gottes Liebe anvertrauen. Uns von Gottes Liebe tragen lassen.
„Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer,
so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.“ Was für eine schöne Sprache: Flügel der Morgenröte – am äußersten Meer. So weit weg, wie ich es mir nur vorstellen kann. Da bist du auch, Gott. Oder umgekehrt: unsere Toten sind bei Gott. Was werden wird, wissen wir nicht. Die Zukunft ist offen. Und niemand von uns muss sie alleine gehen. Gott ist da. Im Himmel ganz oben, in der Tiefe bei den Toten, am Morgen des Lebens und am Abend: Gott ist da.
„Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer,
so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.“ Poetische Überschrift der Trauerfeier für meine alte Mutter. Die kürzlich verstorben ist. Die das Meer so liebte. Die freie Sicht. Das Wasser. Dass sie nahezu täglich mit dem Rad dorthin unterwegs war. Nun ist sie außer Sicht. Am äußersten Meer. Bleiben Sie behütet.
Hiltrud Warntjen, Pfarrerin i.R.