Zuletzt aktualisiert am 15. Juli 2024
Der Diplomatenkonvoi mit dem Staatsmann rollt heran. Du hebst gebietend die Hand, die Eskorte stoppt. Du nimmst den Staatsmann herzlich in den Arm und sagst ihm frei ins Gesicht, was dir gefällt und was nicht und welchen Wusch du offen hast. Der Staatsmann bedankt sich herzlich: „Das war ein guter Tipp. Seien Sie heute Abend mein Gast!“
Das ist, was in der ersten Strophe eines Liedes des in der DDR sehr populären Liedermachers Gerhard Schöne passiert. Der DDR-Hintergrund macht die Unmöglichkeit dieser Szene nur besonders eklatant. Denn anders als in unserer Demokratie, in der die Volksvertreter*innen mit den Wähler*innen, die sie vertreten, sprechen, war in der Diktatur, in der die Partei immer recht hatte, ein Dialog mit dem Volk nicht vorgesehen. Geradezu verwirrend nimmt es sich dann aus, wenn Schöne im Refrain des Liedes singt: „Du hast es nur noch nicht probiert, und darum glaubst du’s nicht.“
Natürlich ist die Vorstellung absurd, genauso absurd wie das Bild in der zweiten Strophe: Eine Schauspielerin, als ein Zuschauer ihre Frage, ob jemand sie liebe, laut mich „Ich“ beantwortet, verlässt den Film, ein schwarzer Fleck bleibt im Bild, und sie geht glücklich mit ihm nach Haus. So etwas geht natürlich nicht. Dies ist physikalisch so unmöglich, wie jenes politisch. Schönes schelmische Botschaft: Du hast es noch nicht probiert. Woher willst du wissen, dass das, was unmöglich ist, immer unmöglich sein wird?
Diesen Sonntag im Juli 2024 hören wir in der Evangelischen Jesus sagen hören „Ihr seid das Licht der Welt“ (Mt. 5,14). Die Worte sind so vertraut, dass wir nicht sofort merkten: Damit sagt Jesus etwas ähnlich Unmögliches. Physikalisch unmöglich und theologisch zumindest verblüffend.
Physikalisch betrachtet ist die Sonne das Licht der Welt, das weiß jedes Kind. Wir können Licht nicht mehr als reflektieren. Und theologisch: Das Licht der Welt ist Gott selbst. Er sprach, als er die Welt erschuf: „Es werde Licht“, und es ward Licht. Oder auch: Christus ist das Licht. So bekennen wir, wenn wir in der Osternacht die brennende Osterkerze in die dunkle Kirche tragen, denn in der Auferstehung Jesu Christi von den Toten hat Gott die Finsternis des Todes besiegt.
Ja, aber… Gott, der das Licht ist, schuf den Menschen nach seinem Bilde. Das heißt, dass der Mensch zu mehr vorgesehen ist, als nur zum reflektierenden Körper. Und an der Osterkerze entzünden wir die Taufkerzen der Getauften und zeigen so: Erfüllt von seinem Licht beginnen wir selbst zu strahlen.
Diplomatenkonvois anzuhalten bleibt eine schwierige Idee – das könnte missverstanden werden, das solltest du nicht tun. Aber fremdenfeindlichen und homophoben Stammtischparolen, die die Würde der Menschen in den Dreck ziehen und die Errungenschaften unserer Demokratie niederbrüllen wollen, schlagfertig und entschieden entgegentreten, das kannst du. Du wirst auch keine geliebte Filmschauspielerin dazu bewegen, aus dem Film auszusteigen. Aber verwundete Herzen in deiner Nähe verbinden und pflegen, das kannst du. Mit den Worten Gerhard Schönes: „In dir schläft Tanz und Gesang, und was noch keinem gelang, das packst vielleicht gerade du. In dir schläft Mut, Phantasie, na, und vielleicht ein Genie. Na, los, nun trau dir’s doch zu!“
Oder wie Jesus sagt, nicht „Ihr sollt sein“, nicht „ihr könntet sein“, nicht „Ach, wäret ihr doch“, nein: Ihr seid – Ihr seid! – das Licht der Welt. Wenn du’s nicht glaubst, probier es am besten einfach aus.
Wolfgang Kürschner, Evangelischer Pfarrer, Cloppenburg