Glauben lernen mit Thomas
Es gibt Personen In der Bibel, deren Namen sprechen erstens für sich, führen uns aber zweitens, wenn wir nicht mehr als nur den Namen kennen, auch in die Irre. Der verlorene Sohn ist so einer, denn nicht, wie er verloren gegangen ist, ist die eigentliche Geschichte, sondern im Gegenteil: wir er wiedergefunden wurde. Trotzdem sind Versuche, ihn stattdessen den „wiedergefundenen Sohn“ zu nennen, bisher kaum erfolgreich. Und das ist vielleicht ja sogar ganz gut so; wenn der Titel der Geschichte schon das Ende verrät, nimmt das ja auch die Spannung beim Lesen.
Ganz ähnlich ist es auch mit dem ungläubigen Thomas, der uns an diesem ersten Sonntag nach Ostern im Gottesdienst begegnet. Obwohl er einer der zwölf Jünger Jesu ist, ist er nach dem Bericht im Johannesevangelium, Kapitel 20 nicht zu Hause, als der auferstandene Herr sich den Jüngern zu sehen gibt. Und als die übrigen Jünger ihm von der Begegnung mit dem Auferstandenen berichten, antwortet er mit den berühmt gewordenen Worten: „Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und lege meinen Finger in die Nägelmale und lege meine Hand in seine Seite, kann ich’s nicht glauben.“
Darum also wird Thomas „der Ungläubige“ genannt. Wobei sich durchaus die Frage lohnt, was und wem genau er nicht glaubt. Hätten wir Gelegenheit, ihn zu fragen, ob er – und zwar an diesem konkreten Tag – an Gott glaubt oder auch daran, dass Jesus als Bote von Gott gekommen ist, ich bin sicher, er würde beide Fragen mit „Selbstverständlich!“ beantworten. Was ihm nur nicht gelingen will, ist, dem Bericht der anderen Jünger zu glauben, wonach ihnen der, den sie vor wenigen Tagen am Kreuz haben sterben sehen, höchst lebendig begegnet ist. Da muss Thomas denn doch sagen: „Wenn ich das nicht mit eigenen Augen sehen und mit eigenen Händen berühren kann, kann ich’s nicht glauben.“ Weil es einfach zu unglaublich ist.
Ich finde es schwer, für diese Haltung des Thomas keine Sympathie zu haben. Weit davon entfernt, sich kritiklos von angenehmem Gerede einnehmen zu lassen, scheint er eher einer zu sein, der das, was dieses Jahr unsere Jahreslosung ist, ernst nimmt: „Prüfet alles und behaltet das Gute.“ (1. Thessalonicher 5, 21) Den gesunden Menschenverstand fahren zu lassen, das kommt für ihn auch auf der Suche nach der Glaubenswahrheit nicht in Betracht. Darin legt er eine Haltung an den Tag, die heute weit verbreitet ist: Es ist nicht ein Unglaube, der darauf besteht, Unglaube zu bleiben, wohl aber ein Glaube, zu dem sich der Mensch nicht durch äußerliche Worte überreden, sondern nur durch Erfahrungen, die ihm nahekommen, überzeugen lässt. Bis hierher handelt der Bericht nicht von einer abschließenden negativen Antwort, sondern von einer offenen Frage.
Am Sonntag nach Ostern hören wir deshalb in unseren Gottesdiensten von Thomas, weil es eben am Sonntag nach Ostern zu einer zweite Begegnung Jesu mit seinen Jüngern kommt, und diesmal ist Thomas auch anwesend. Und da spricht Christus den Thomas an und lädt ihn ausdrücklich ein, seine Nägelmale und seine Seite zu berühren. Thomas findet zum Glauben an die Auferstehung. Interessant ist aber, dass uns nichts darüber berichtet wird, dass Thomas nun die Gelegenheit nutzt, sich durch das Berühren des Auferstandenen von seiner Gegenwart zu überzeugen. Das ist offensichtlich gar nicht mehr nötig. Dass er die Möglichkeit bekommt, reicht schon. Er muss den Auferstandenen nicht mehr berühren, weil er von ihm im Herzen berührt worden ist. Wer weiß, ob er vom Glauben so tief bewegt worden wäre, wenn er vorschnell „Ja“ gesagt hätte…
Pfarrer Wolfgang Kürschner, Cloppenburg