Frieden, Gerechtigkeit und Güte – das gemeinsame Band

Zuletzt aktualisiert am 13. Januar 2022

Pfarrer Jürgen Schwartz

Liebe Leserinnen und Leser,
als Einstieg eine alte Geschichte, die sich – mit kleinen Abwandlungen – bei fast allen Völkern unserer Erde findet, weil sie an eine sehr wichtige Grunderfahrung jeder Gemeinschaft erinnert. Hier kommt die Variante, wie sie häufig in Japan erzählt wird.

Ein alter Mann ruft seine drei Söhne an sein Sterbebett. Er lässt sich mehrere Stäbe reichen und bittet sie, jeweils einen Stab durchzubrechen; es gelingt allen mit Leichtigkeit. Anschließend sollen sie – alle drei nacheinander – jeweils zwei zusammen gebundene Stäbe teilen; mit ein wenig Mühe gelingt es allen. Daraufhin reicht der Vater jedem Sohn jeweils ein Bündel aus Stäben; drei sind es; sein Wunsch ist es, dass sie auch diese zerbrechen sollen. Doch: so sehr sie sich auch anstrengen … es will nicht gelingen. Die Söhne geben die Bündel zurück.

Der Vater nimmt sie lächelnd entgegen und erklärt: „Diese Stäbe seid ihr. Alleine seid ihr schwach und zerbrechlich. Doch wenn ihr zusammenhaltet, dann könnt ihr selbst die schwierigsten Prüfungen bestehen.“

Es ist zwar eine alte Geschichte, hat aber eine aktuelle Moral. – Mich hat in der letzten Zeit nämlich die Frage immer wieder neu beschäftigt: „Was hält die einzelnen Teile unserer Gesellschaft noch zusammen? Wo ist das Band, das die verschiedenen Teile verbindet?

Das, was heute bedrohlich zugenommen hat, ist die Gefahr eines Auseinanderbrechens des gesellschaftlichen Zusammenhaltes. Vielfach ist das zu beobachten. Das gilt nicht nur bei der Frage, welches Vorgehen in der Corona-Pandemie am besten ist, sondern auch in Hinblick auf unsere gemeinsame Zukunft. Die hilfreiche(n) Antwort(en) darauf werden wir sicher auch in diesem Jahr noch suchen: „Wo und was ist das gemeinsame Band?“

In der biblischen Weisheitsliteratur findet sich ein wichtiger, weil wegweisender Satz: „Ein Volk ohne Visionen geht zu Grunde.“ (Sprüche Salomos 29,18) Es verwildert.

Darin steckt die frühe Einsicht, dass es für ein Gemeinwesen nicht ausreicht, nur zu essen und zu trinken zu haben – so wichtig und notwendig das auch ist. Es bedarf auch und gerade eines Bandes, einer Perspektive, um als Gesellschaft Zukunft zu haben.

In der wunderbaren Sprache von Psalm 85 heißt es: die Erinnerung an Gottes Güte kann Menschen miteinander verbinden. So „dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen.“ (Psalm 85,11)

Das finde ich wichtig: Es geht in unserem Leben um viel mehr als „nur“ unser persönliches Glück. Wir nehmen unsere Mit-Welt in den Blick. Menschen schauen über den eigenen Tellerrand hinaus, weil sie spüren: Es geht nur miteinander …, indem wir uns umeinander kümmern, indem wir uns miteinander auf den Weg der Gerechtigkeit und des Friedens machen und in gütiger Weise begegnen.

Sicher, wird jetzt der eine oder die andere denken: Das sind erst einmal große Worte! Darauf würde ich antworten: Ja, das stimmt. Aber es sind auch wegweisende Worte! Sie zeigen eine Perspektive auf, an der wir uns ausrichten können. Sie machen mir deutlich: ich kann etwas dafür tun, Tag für Tag, um die großen Worte in das praktische Kleingeld des Alltags zu wechseln. Sie ermutigen mich, das Band, das uns verbindet, stärken zu helfen.

 

Zur Person

Jürgen Schwartz ist Pfarrer in den evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden Lastrup und Lindern.