„Es ist, was es ist”

Warum? Warum uns? Warum denn nur? Wenn er doch bloß nicht …! Dann wäre das alles doch nicht geschehen! Hätte sie doch besser aufgepasst! Dann wäre sie noch am Leben! Warum? Wenn wir doch bloß nicht …! Nur ein paar Augenblicke später … und es wäre nicht passiert. Das Schlimmste im Leben möchten wir rückgängig machen. Anders machen. Am liebsten ungeschehen . Denn alles im Leben muss eine Ursache haben. Einen Grund. So auch der Tod. Ganz besonders der Tod des Kindes, lange vor der natürlichen Sterbenszeit. – „Es ist, was es ist”.
Der Tod eines Menschen, eines Kindes erschüttert uns. Da muss ein Schuldiger, eine Schuldige her. Schuldvorwürfe gegen mich selbst, gegen andere. Gegen den Vater oder die Mutter des Kindes. Mächtige Schuldgefühle: womit habe ich, womit haben wir das verdient? Warum diese Suche nach der Schuld? Vieles im Leben ließe sich bestimmt liebevoller machen. Hingebungsvoller. Oft bin ich schon zufrieden, wenn ich gut durch meine Tage komme. Wenn ich mir nicht allzu viel zu Schulden kommen lasse. – „Es ist, was es ist”.
Der Tod eines Kindes macht empfindlicher. Verwundbarer, verletzlicher. Da wird das Gewissen schnell richtig laut. Leuchtet gnadenlos alle Ecken und Enden des Lebens aus. Auch in meinem Keller, meinem seelischen Keller, ist es nicht so richtig hell. Oder gar ordentlich und aufgeräumt? – „Es ist, was es ist”.
Viele wurden schon als Kind für vieles verantwortlich gemacht. Aufpassen auf die jüngeren Geschwister. Mutter oder Vater bloß nicht auf die Nerven gehen. Schuld gewesen sein bei einem Missgeschick. Ein schlechtes Gewissen gemacht bekommen. Und später, als Erwachsener toben dann die inneren Vorwürfe. Selbstvorwürfe. Schuldgefühle. „Es ist, was es ist” – das sind Gegenworte.

„Es ist, was es ist”. Wer sagt das einem? Die Liebe?
„Es ist, was es ist” stammt aus einem Gedicht:
Es ist Unsinn – sagt die Vernunft
Es ist was es ist – sagt die Liebe
Es ist Unglück – sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz – sagt die Angst
Es ist aussichtslos – sagt die Einsicht
Es ist was es ist – sagt die Liebe
Es ist lächerlich – sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig – sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich – sagt die Erfahrung
Es ist was es ist – sagt die Liebe.

Es ist nichts als Schmerz – sagt die Angst. Diese oft übermächtige Frage nach der Schuld. Die das Trauern blockiert. Und den Weg zum Seelenfrieden verhindert. Verabschieden wir uns von der Vorstellung, wir könnten unser Leben verstehen. Warum mir das oder das passiert, bleibt schwer erklärlich. Manchmal staunen wir über uns selbst. Wenn wir uns freuen, und gar nicht wissen, warum. Wenn wir tieftraurig sind, aus heiterem Himmel. Es ist was es ist – sagt die Liebe.
Es ist aussichtslos – sagt die Einsicht. „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild,“ sagt Paulus vor 2000 Jahren. Als es noch keine klaren Glasspiegel gab. Man sein eigenes Gesicht im Kupferspiegel nur erahnte. Es blieb fremd und rätselhaft. Wie auch das Leben. Wie auch das Sterben. Leben und Sterben bleiben letztendlich ein großes Geheimnis. Ein dunkles Bild. Es ist was es ist – sagt die Liebe.
Es ist Unglück – sagt die Berechnung. Paulus erzählt von der Hoffnung auf Antwort. Irgendwann: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht: jetzt erkenne ich stückweise, dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.“ Wenn ich dem Schöpfer von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehe. Und alles erfahre. Wie unsere vielen kleinen Geschichten zu einer großen zusammen gehören. Es ist was es ist – sagt die Liebe.
Es ist unmöglich – sagt die Erfahrung. Jetzt und hier erkennen wir zwar Zusammenhänge im Leben. Entdecken wir Ursachen und Wirkungen. Doch letztlich lässt sich doch nie genau sagen, warum und wozu und weswegen etwas – so oder so – geschieht. Geschehen ist. Warum habe ich ein Sternenkind? Warum ist mein Kind gestorben? Warum so früh? Warum zur Unzeit? Es ist was es ist – sagt die Liebe.
Es ist leichtsinnig – sagt die Vorsicht. Hiob erfuhr vom Sterben seiner Kinder. Er zerriss sein Kleid und schor sein Haupt und fiel auf die Erde und neigte sich tief und sprach: „Ich bin nackt von meiner Mutter Leib gekommen und nackt werde ich wieder dahinfahren. Der Herr hat´s gegeben, der Herr hat´s genommen. Der Name des Herrn sei gelobt”. Es ist was es ist – sagt die Liebe.
Es ist lächerlich – sagt der Stolz. Und: Es ist Unsinn – sagt die Vernunft: Welchen Sinn soll denn der Tod gehabt haben? Es ist unsinnig, schmerzhaft, unnötig. Ja, so zu denken, so zu reden – leise in sich hinein oder laut mit andern – ist verständlich, ist menschlich. Anders denken: „Es ist, was es ist” – dafür braucht es Liebe. Braucht es Vertrauen und Hoffnung. Dass alles im Leben gut aufgehoben ist. Beim Schöpfer, bei Gott. Es ist was es ist. Sagt die Liebe.

Hiltrud Warntjen, Pfarrerin i.R.