Erzählt Euch von Euren Träumen …

Zuletzt aktualisiert am 31. August 2023

Ich erinnere mich noch gut an einen Sonntagmorgen im April des Jahres 1991. Ich ging zu Fuß von meiner kleinen Wohnung, die ich gerade bezogen hatte, zur Friedenskirche in Fedderwardergroden. Dort, in Wilhelmshaven, hatte ich mein Vikariat begonnen, die praktische Ausbildungsphase für das Pfarramt. Meinen neuen Talar hatte ich über dem Arm, und mein Herz platzte fast vor Freude darüber, dass ich nun meinen ersten Gottesdienst als Vikarin mit der Gemeinde feiern durfte: Ich war am Ziel! Sieben Jahre lang hatte ich im Sprachenlernen und im Studium auf dieses Ziel hingearbeitet. Es war toll, diesen Traum zu haben und nun an dem Punkt zu sein, dass er Wirklichkeit wurde. Nicht alles hat sich im Pastorin-Sein seitdem genauso erfüllt, wie ich es mir erträumt habe. Manche Alltagsbelastung, manche anstrengende Rahmenbedingung konnte ich mir im Vorhinein gar nicht vorstellen. Doch auch wenn es nicht für jeden Aspekt gilt: Der Traum hat sich erfüllt.

Es wird gesagt, dass Martin Luther King 1963 die berühmten Worte vom Traum aus seinem Redemanuskript eigentlich wieder gestrichen hatte. Erst als ihm die Sängerin Mahalia Jackson zurief: „Erzähle ihnen von dem Traum, Martin!“ löste er sich von seiner Vorlage – und begann mit den bis heute bewegenden Worten „I have a dream …!“. Der Traum vom gleichberechtigten Miteinander der Menschen aller Hautfarben in Amerika gab ihm und vielen anderen mit ihm die Kraft weiterzumachen. Sich trotz aller Rückschläge und Widerstände für die Freiheit einzusetzen.

Träume zu haben, ein Bild davon in Kopf und Herz, wie ich mir die Zukunft vorstelle, zieht mich in meinem Denken und Handeln nach vorne. Wenn es um die Gestaltung der Zukunft geht: in unserer Stadt, in unserem Land, in Gesellschaft und Kirche, kommen wir nicht drum herum, negative Entwicklungen und Einflüsse deutlich zu benennen. Wir brauchen Zahlen, Daten, Fakten, um die Situation realistisch einzuschätzen. Doch die Klage darüber, das Starren auf die Defizite, sie helfen nicht weiter. Verunsicherung und Panik sind schlechte Ratgeberinnen. Wir brauchen Träume, die uns den Weg weisen. Manchen Traum von früher müssen wir begraben, z.B. den vom nie endenden Wachstum. Wir sollten gemeinsam neue Bilder, von dem, wie es sein kann, entwickeln. Sie entspringen aus dem, was uns gemeinsam wichtig ist, was uns trägt.

Die Bibel ist voll von solchen Visionen, Bildern vom Himmel: Die Sanftmütigen besitzen das Erdreich. Wer nach Gerechtigkeit hungert, wird satt. Gott selbst trocknet alle Tränen. Dabei ist das Himmelreich wie ein winziges Senfkorn, sagt Jesus, aber aus ihm wächst ein Baum, in dem Vögel ein Zuhause finden (Matthäus 13,32). Die Kraft dieser Bilder zieht nach vorne. Hilft, kleine Anfänge zu würdigen, Veränderungen zu wagen und Zukunft zu gestalten. Erzählt Euch von Euren Träumen!

Martina Wittkowski, Kreispfarrerin im Kirchenkreis Oldenburger Münsterland