Zuletzt aktualisiert am 30. September 2023
Gerade bin ich im Urlaub. Verreist. So vieles, für das ich Danke sage: die Autofahrt ohne Unfall oder längere Staus, freundliche Menschen allerorts, gutes Wetter für unsere Radtouren. Und auch für die liebe Katzensitterin zuhause, die mal wieder verlässlich und liebevoll Luzie versorgt. Dankeschön.
Unterwegs sein. Durch Dörfer, Städte, über Land. Auf Wegen. Im Staub. Unter blauem Himmel. Manchmal im Schatten der Bäume. Unterwegs nach Jerusalem, Jesus mit seinen Begleiterinnen und Begleitern. Durch Samarien. Durch Galiläa. Viele Schritte. Viel Zeit. Nur selten wirklich willkommen in den Dörfern und Städten. Kein Ort zum Bleiben. Jesus und seine Leute: viel zu unangepasst, zu freiheitlich. Zu kritisch gegenüber den Regeln des Herrschens von Reichen über Arme. So sind sie unterwegs. Unbehaust. Ohne Bleibe. Ungern gesehen. Ihr Ziel: Jerusalem.
Unterwegs sein. Immer wieder Begegnungen. Einladungen für einen Abend. Sich satt essen und feiern. Nähe, Berührungen, Hoffnung, Blicke, Weitergehen. Im Irgendwo zwischen Samaria und Galiläa. 10 Männer. Leprakranke. Entstellt, ausgeschlossen aus ihrem Dorf. Unrein. Ihre Krankheit eine Strafe Gottes. Von ferne rufen sie Jesus an, bitten um Hilfe. Schreien: Erbarme dich unser!
Welche Bilder sehe ich jetzt? Was könnte ein Spiegel für heute sein? Wen sehe ich vor mir? Ausgeschlossen, abgehängt? Mit dem Gefühl, keinen Ort mehr betreten zu können? Kennen Sie die Trauer darüber, wie das ist, verloren zu sein, alles verloren zu haben? Die Liebe, die Kinder, die Eltern, die Küche, das Schlafzimmer, eine weiche Decke? Welche Menschen sehen Sie? Welche Bilder habe ich vor Augen?
Ich sehe die Alten in den Pflegeheimen bei uns. Die Kranken in den Kliniken. Und so viele Kinder, in irgendwelchen Einrichtungen. Sehe Menschen in den Slums weltweit. Die Drogensüchtigen und all die Verlorenen an den Bahnhöfen. Kinder auf Mülldeponien, suchend nach etwas zum Verkaufen oder zu essen. Die vergessenen Gefangenen, die Gefolterten. All die Verlorenen.
Denke auch an meine Nachbarn, meine Freundin und mich selbst in den dünnsten Momenten des Lebens. Wenn das Alleinsein zu viel wird. Sie die Liebe nicht mehr spüren. Wenn ich bange, ob ich am nächsten Tag aufstehen kann oder der Himmel wie Blei auf einem liegt. Sorge habe um all die Not, um all das Elend in der Welt.
Jesus sieht. Sieht mich, Sie. Sieht sie alle. Schickt die kranken Männer zu den Priestern. Nur sie können die Heilung vom Aussatz feststellen und bestätigen. Damals. „Und er sah sie und sagte zu ihnen: ‚Geht und zeigt euch den Priestern.‘ Und, während sie fortgingen, geschah es: Sie wurden rein.“ (Lk 11,14) Wie unspektakulär! Ein Ansehen. Ein paar Worte. Ein Gesehen werden. Ein Gehen. Eine Heilung. Ein Moment! Sie richten ihre Haare, ihre Kleidung. Und weg sind sie. Fort, fast rennen sie. Kein Blick mehr zurück. Kein Innehalten. Kein Aufatmen. Kein Nachspüren. Kein Dank.
Einer von ihnen aber verharrt. Hält inne, bleibt, atmet aus, atmet durch, atmet auf. Kehrt wieder um. Und dankt. Einer von ihnen ahnt, spürt, begreift: das hier hat mit Gott zu tun! Ihre Heilung ist eine Einladung, ein Willkommen dieses Gottes. Eine Einladung, die Leben verheißt. Die das ganze volle pralle Leben spüren lässt. Einer von ihnen kehrt zurück. Als er sah, dass er geheilt war, lobte er Gott mit lauter Stimme, fiel auf sein Angesicht vor Jesu Füße und dankte ihm.
Alles, was er hat, alles, was er ist – seine Worte, sein ganzer Körper drücken den Dank für diesen Gottesmoment aus. Für das neu geschenkte Leben. Die Fülle. Die Heilung. Das ganze, volle Leben. Danke, Gott! Für mich eine Geschichte, die mich darüber nachdenken lässt, wo und wie und ob ich mich vor Gott und dem Leben verneige. Mit jedem Dank tun wir das, glaube ich. Uns verneigen vor Gott und dem Leben. Die wunderbare Dorothee Sölle drückt es so aus: Es ist eine geistliche Übung, jeden Tag drei Dinge zu finden, für die ich, Du, Sie dankbar sein können. Mehr davon also. Danken. Verneigen. Glauben. Das Leben feiern.
Jeden Tag drei Dinge finden, für die ich danke. Sie danken. Gott danken. Mein Leben vor Gott bringen. Im Gebet. In Lob und Klage. In Bitte und Dank. Alles, wirklich alles kann Gegenstand meines Gebets sein: Fragen, Hoffnungen und innerste Wünsche. Gründe genug, Gott zu danken: für unser Leben im, wenn auch zerbrechlichen, Frieden. Für unsere Familien und Freunde. Für Momente der Freude. Des Glücks.
Es ist nicht selbstverständlich, zufrieden zu sein. Dankbar. Glücklich. Das nicht aus den Augen verlieren. Im Alltag. Sich das abends wieder bewusst machen. Wie viel Schönes der Tag gebracht hat. Meist melden sich Anlässe zum Danken viel leiser zu Wort als Gründe zur Klage. Jeden Tag drei Dinge zum Danken finden. Dank ist mitgeteilte Freude. Vielleicht ist das ja auch was für Sie? Für Dich? Für mich?
Hiltrud Warntjen, Pfarrerin i.R