Wunderbar gemacht

Zuletzt aktualisiert am 6. Juni 2021

,,Gott, ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin, wunderbar sind deine Werke.“ (Psalm 139,14) Wer der Mann oder die Frau war, der oder die diesen Satz, dieses Dankgebet ausgesprochen hat, ist nicht bekannt. Vielleicht ein schöner, kluger, gesunder und rundum erfolgreicher Mensch, mit allem Grund zur Dankbarkeit. Vielleicht aber auch ein Mann, im fortgeschrittenen Alter, mittlerweile mit Glatze und Problemen am Rücken. Oder eine Frau, die keine Kinder bekommen kann. Oder eine Jugendliche im Rollstuhl. Oder mit Legasthenie. Oder ein hyperaktives Kind, oder vielleicht ein dicker Junge.

,,Gott, ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin, wunderbar sind deine Werke.“ Das ist einer der schönsten und wichtigsten Sätze, die ich kenne. ,,Gott, ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin, wunderbar sind deine Werke.“ So, wie ich bin. Wunderbar gemacht. Und doch hat jede und jeder von uns etwas, was nicht ganz stimmt, was wir nicht hinkriegen, womit wir nicht zufrieden sind, was uns an uns nicht gefällt. Schwächen vielleicht oder Seiten an uns, die uns unser Leben lang zu schaffen machen, die wir an uns nicht mögen.

Und dann? Vielleicht kennen Sie solch ein Prisma aus Glas. Wenn die Sonne darauf scheint, dann tanzen überall im Zimmer kleine Regenbogen. Auf das Glas fällt Licht, und das Licht wird in allen Farben des Regenbogens sichtbar. Und so wie bei dem Glasprisma ist es auch bei uns. Von Gott her fällt ein Licht auf uns, und das lässt uns strahlen. In diesem göttlichen Licht leuchten wir und erkennen uns als etwas Wunderbares. Wunderbar gemacht. Ganz egal, wie perfekt oder fehlerlos ich bin. Egal, wie alt oder jung, wie klein oder groß. Das liegt einzig am Licht Gottes, das auf mich fällt. ,,Gott, ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin, wunderbar sind deine Werke.“ So, wie ich bin. Wunderbar gemacht.

Also eine Frage der Sicht, wie ich mit mir selbst umgehe. Vor allem, wie ich mit dem zurecht komme, was mir an mir selbst nicht gefällt. Dabei geht es nicht darum, zu mir selbst sagen: ab morgen denke ich positiv. Ab morgen stören mich meine abstehenden Ohren nicht mehr. Oder meine schiefen Zähne. So geht es nicht! Ich meine es eher so: für mein ganzes Leben ist es bedeutsam, ist es rettend, diesen Satz aus der Fülle meines Herzens zu sagen: ,,Gott, ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin!“ So, wie ich bin. Wunderbar gemacht.

Morgens meine Augen aufmachen und das Licht des neuen Tages begrüßen. Die Stimmen der Vögel hören und auf meinen eigenen Füßen stehen und gehen. Neben allem Mich-Abmühen auch Freizeit und Ferien haben – große und kleine Inseln der Ruhe. Und mich in all diesen Wohltaten Gottes auch selbst als„wunderbar gemacht“ erkennen. „Gott, ich danke dir, dass ich wunderbar gemacht bin!“ So, wie ich bin. Wunderbar gemacht.

Manchen mag das selbstgefällig klingen. Für mich ist es nichts anderes als die gelebte Gewissheit, dass ich mein Leben einmal aus Gottes Hand empfing, Gott, der mich wunderbar gemacht hat – mein einziger, mein wirklicher, starker Trost – im Leben und im Sterben. „Gott, ich danke dir, dass ich wunderbar gemacht bin!“ So, wie ich bin. Wunderbar gemacht.

Ich wünsche uns allen, dass wir uns die Erlaubnis geben, diesen Satz nachzusprechen. Vor allem auch den Älteren unter uns. Nicht wenige Altgewordene machen ja die Erfahrung, dass mit dem Älterwerden so manche Quellen der Lebensfreude versiegen. Je älter wir werden, um so mehr Unabänderliches gibt es und an Verlusten tragen wir schwer. Und damit verbunden an kleinen oder großen Lebensängsten. Und trotzdem weiter diesen einen Satz laut sagen, als Ermutigung: „Gott, ich danke Dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin!“ So, wie ich bin. Wunderbar gemacht.

Das weckt in uns die freundlichen und barmherzigen Stimmen. Und erinnert uns daran: über unser aller Leben steht ein liebevolles, unerschütterliches „Ja“. Wir  leben davon, dieses lebensfreundliche „Ja“ zu hören. Dies „Ja“ zu sehen, zu schmecken und zu fühlen, zu kosten und in uns aufzunehmen. Bis dies „Ja“ unser innerster Besitz geworden ist, ja, ein Stück von uns selbst. Lasst uns staunen über Gottes Wohltaten, die auch in diesem Jahr die Lebendigkeit der Natur uns bringt. Lasst uns einstimmen in das Lob „Gott, ich danke dir, dass ich wunderbar gemacht bin.“ So, wie ich bin. Wunderbar gemacht.

Wenn ich staune über mein Dasein, dann gehen mir diese Worte ganz leicht über die Lippen: „Gott, ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin!“ So, wie ich bin. Wunderbar gemacht. Der Psalmbeter spricht weiter: „Das erkennt meine Seele.“ Auch wenn meine Seele grad tieftraurig ist, voll Angst oder verzweifelt. Mitten in der tiefsten Traurigkeit zeigt sich Gott. Und ich fange an zu staunen über meine Lebendigkeit, mitten in der schmerzlichsten Trauer. Das allzu Selbstverständliche erscheint in einem neuen, warmen, heilenden Licht: „Gott, ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin!“ So, wie ich bin. Wunderbar gemacht.

Hiltrud Warntjen