Wiederentdeckt: ein Schatz – Ein Beitrag zum Reformationstag von Kreispfarrerin Martina Wittkowski

Zuletzt aktualisiert am 16. November 2021

Sie wollte ein paar kleine Haken beim Aufräumen schnell verschwinden lassen und öffnete die Schublade in ihrem alten Tisch. Den Küchentisch von zu Hause hatte sie von ihrer Mutter geerbt. Schon lange hatte sie nicht mehr in die Schublade hineingesehen. Ein muffiger Geruch stieg ihr in die Nase. Da fiel ihr Blick auf einen Gegenstand, der in Zeitungspapier eingewickelt ganz hinten in der Schublade lag. Was war das noch mal gewesen?

Sie zögerte kurz. „Bloß jetzt nicht ablenken lassen von meiner Putzaktion“, dachte sie zuerst. „Das kann ich auch später noch ansehen.“ Doch dann wurde ihre Neugierde zu groß… – Irgendetwas machte sie ganz kribbelig. „Na gut, die Zeit nehme ich mir jetzt.“

Sie zog sich einen Stuhl heran und griff nach dem Zeitungspapier. Es war vergilbt und ausgetrocknet. Auch das Layout der Zeitung war nicht das von heute… Sie entdeckte an einem Zipfel des Papiers eine Jahreszahl – hm, war das nicht das Jahr, in dem sie konfirmiert worden war? – Und ihre etwas ältere Freundin damals zur Firmung ging? Lange her.

Vorsichtig löste sie den Bindfaden, mit dem das Zeitungspapier zusammengehalten wurde. Sie wickelte den Gegenstand Schicht für Schicht aus. Er war gar nicht so groß wie sie gedacht hatte, viel Papier drum herum eben. Dann kam er zum Vorschein: Ein Löffel. Dunkelgrau, fast schwarz angelaufen. Musste aus Silber sein.

Und langsam dämmerte es ihr: Das war der Löffel, den sie zu ihrer Taufe geschenkt bekommen hatte. Ein echter silberner Löffel. Als Kind durfte sie ihn bei besonderen Mahlzeiten benutzen. Die Erinnerungen berührten sie. Wie stolz war sie auf diesen Löffel gewesen. Wie hatte er geglänzt und schwer in ihrer Hand gelegen. So etwas Wertvolles. Das ihr allein gehörte, in das sogar ihr Name eingraviert war. Sie spürte heute noch, welche Kraft von diesem Gegenstand für sie ausgegangen war. Wertgeschätzt hatte sie sich gefühlt. Geliebt und geborgen.

Über Jahre hatte sie den Löffel und die Erinnerungen, die daran hingen, fast vergessen. Über Jahre war das silberne Besteck so angelaufen, dass man seine Schönheit, seinen Wert nur noch erahnen konnte. Sie suchte das Silberputzmittel und begann, den Löffel mit einem weichen Tuch zu putzen. Schicht für Schicht, an manchen Stellen war die Verfärbung besonders hartnäckig. Nach einiger Anstrengung war es geschafft: Der Löffel glänzte wie früher. Schön war er, wertvoll. Und er gehörte ihr. Er sollte wieder einen Platz in ihrem Alltag bekommen, das nahm sie sich fest vor. Heiterkeit und Leichtigkeit stiegen in ihr auf.

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Heute ist Reformationstag. An vielen Orten wird das Fest in ökumenischem Miteinander gefeiert. Am 31. Oktober 1517 veröffentlichte Martin Luther seine 95 Thesen zur Veränderung der Kirche.

Worum es Martin Luther im Tiefsten geht, das finde ich in These 62: „Der wahre Schatz der Kirche ist das allerheiligste Evangelium von der Herrlichkeit und Gnade Gottes.“