
„Was ist eigentlich mit Klaus? Er kommt schon lange nicht mehr.“ – „Na, du weißt doch: Seit der Trennung von Sabine und jetzt Corona … da hat er sich zurückgezogen.“ – „Er könnte sich aber eben auf die Einladungen melden.“ – „Nicht einmal auf WhatsApp antwortet er … das ist irgendwie schade.“ – „Da kann man nichts machen.“ – „Genau.“, tönt es aus der Runde. Die Freunde machen sich Sorgen um Klaus. Vorher war er immer Teil der Clique. Doch jetzt ist er schon lange kein Teil der Gruppe mehr. Schließlich sagt Dennis: „Ich werde ihn besuchen.“ – „Ach, das bringt doch nichts.“, tönt es ihm von den anderen entgegen. „Du weißt noch, wie er ist.“ – „Ich werde es dennoch versuchen.“, antwortet Dennis, und er nimmt sich vor, den „alten Kumpel“ zu besuchen.
Die Tage vergehen. Anderes, Arbeit, der Alltag mit seinen Herausforderungen, schiebt sich dazwischen, so dass der Besuch unterbleibt. Und zwischendurch der Satz von den anderen: „Da kann man nichts machen.“ Dennis ist hin- und hergerissen: Einerseits sagt sein Kopf: „Nein, das bringt nichts.“ Andererseits meldet sich sein Herz: „Versuch es. Du würdest dich doch auch freuen, wenn dich jemand besuchen kommt.“
Nach Tagen, es ist schon spät, und es weht ein eisiger Wind, klingelt Dennis bei Klaus. Mit Ringen unter den Augen und längeren Haaren als sonst öffnet Klaus die Haustür. Er sagt kein Wort. Dennis meint jedoch, ein Lächeln auf seinen Lippen erkennen zu können. Mit einer Handbewegung bittet Klaus Dennis herein. Auf dem Sofa vor dem Kamin nehmen sie Platz. Beide Männer schauen in die züngelnden Flammen und hören, wie die Holzscheite knistern. Keiner von beiden sagt ein Wort. Beide schweigen.
Schließlich steht Dennis auf und nimmt mit der Zange ein großes Stück Kohle aus dem Feuer und legt es an die Seite, ganz an den Rand, so dass es keinen Kontakt mehr zu den anderen hat. Dann setzt er sich wieder hin, und beide schauen dem Feuer zu.
Klaus bemerkt, wie die Flammen von dem Kohlestück kleiner werden und auch die heiße, rot leuchtende Glut schwächer wird. Das helle, warme Licht schwindet mehr und mehr. Das Stück Kohle wird an einigen Stellen grau, Asche hat sich gebildet, … und es bleibt an einigen Stellen schwarz.
Da erhebt sich Dennis ein zweites Mal und legt das beiseite gelegte Stückchen Kohle zurück zu den anderen, hinein in das Feuer. Dann sitzt er wieder neben seinem Freund Klaus und beide schauen in das Feuer.
Sie sehen nun, wie das zurückgelegte Stückchen Kohle erneut entfacht wird und wie es Licht und Wärme weitergibt. „Oh, wie gut, dass es geklappt hat“, denkt Dennis. Schließlich steht er auf, dreht sich zu Klaus und deutet an, dass er gehen will. Auch Klaus steht auf und begleitet ihn zur Tür. Als er die Tür öffnet, dreht er sich zu Dennis und sagt: „Danke für deinen Besuch und für dieses schöne Beispiel. Ich komme wieder. Bestimmt. Bis bald. Und … nochmals Danke.“
Manchmal kostet es Mut, Zeit und Kraft, sich auf den Weg zu machen – entweder, um jemanden zu besuchen, um jemanden in die Gemeinschaft zurückzuholen; oder, um sich selbst auf den Weg zu machen – zurück in das Leben, zurück zu den anderen, zu Familie, zu Freunden. Ohne die anderen erlischt das Feuer des Lebens; ohne den Austausch und den Kontakt mit anderen drohen wir zu erkalten; dann liegen nur noch erkaltete Kohlestücke nebeneinander, ohne dass sie einander wärmen, ohne dass sie Helligkeit und Wärme, Impulse und Barmherzigkeit in die Gesellschaft, in die Welt bringen. Wir brauchen einander. Der Apostel Paulus hat dies im Neuen Testament – nicht mit dem Bild vom Kamin beschrieben, sondern – es auf seine Weise gesagt: „Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit; und wenn ein Glied geehrt wird, dann freuen sich alle Glieder mit.“ (1. Korinther 12,26) – Bleiben Sie behütet.
Zur Person
Jürgen Schwartz ist Pfarrer in den evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden Lastrup und Lindern.