Vom Angst haben. Und vom mutig sein.

Angst haben gehört zum Leben. Dazu. Was, wenn einem meiner Liebsten etwas passiert? Schaffe ich die Prüfung? Genüge ich den Ansprüchen meines Chefs? Komme ich finanziell über die Runden? Bleibt mein Partner bei mir? Wird bei der Operation alles gut gehen? Werden meine Kinder ein gutes Leben haben? Werde ich wieder gesund? Werden wir weiter im Frieden leben?
Angst haben gehört zum Leben. Dazu. Angst vor der Dunkelheit. Vor den eigenen Abgründen. Unerträgliches Herzklopfen beim Warten auf die Diagnose. Sorge zu versagen. Angst vor den rasanten Umwälzungen in unserem Land. Vor dem globalen Chaos in der Welt. Angst, das Leben zu verfehlen. Und nicht zuletzt die Angst, alles zu verlieren, das Leben selbst. Die Angst vor dem Tod.
Angst haben gehört zum Leben. Dazu. Schwierig wird es, wenn die Angst das tägliche Leben bestimmt. Beherrscht. Ja, so beherrschend wird, dass jemand Angst vor der Angst hat. Dann ist die Angst wie ein Netz, das mich nicht mehr loslässt. Dann bin ich gefangen. Gefangen in meinen Ängsten. Dann schäme ich mich. Und fühle mich von niemandem mehr verstanden.
Angst haben gehört zum Leben. Dazu. „Angst verleiht Flügel!“ sagt der Volksmund. Ja, das stimmt: Angst löst einen Adrenalinschub aus. Und zack, schlägt das Herz viel schneller. Schweiß bildet sich, die Pupillen weiten sich. Die Kehle wie zugeschnürt. Die Nackenhaare aufgestellt. Der Körper schüttet Stresshormone aus. Damit ich der Gefahr entkomme. Oft warnt mich die Angst vor gefährlichen Situationen. Hält mich vom unüberlegten Handeln ab. Kurz: Die Angst schützt mich.
Angst haben gehört zum Leben. Dazu. Angst kann blind machen. Und die Handlungsspielräume ganz klein werden lassen. „Angst essen Seele auf“, heißt ein bekannter Film. Ja, nicht immer verleiht die Angst mir „Flügel“. Viel zu oft lähmt sie. Nimmt mir die Freude am Leben.
Und der Mut? Wie werde ich mutig? Wenn ich über Mut nachdenke, fallen mir viele Wörter ein. Worte, in denen der Mut steckt: Unmut. Großmut. Übermut. Hochmut. Lebensmut. Anmut. Freimut. Gleichmut. Demut. Einmütig sein. Und was ist das überhaupt – Mut? Ein Blick in das Herkunftswörterbuch. Mut kommt aus dem Germanischen. Mut steht ursprünglich für „nach etwas heftig verlangen“.
Das englische Wort „mood“ erinnert das: I’m in a good mood; I’m in a bad mood. Mut im Sinne von Tapferkeit gibt es erst seit dem 16. Jahrhundert. Die ursprüngliche Sprachwurzel, mood, zeigt: Mut ist nichts, was von außen auf uns zu kommt. Mut entsteht tief in uns selbst. Mut braucht innere Bewegung. Mut braucht einen Antrieb. Braucht ein Ziel, auf das er sich richten kann. Braucht ein Ziel, mit dem wir innerlich verbunden sind. Dann kann Mut wachsen.
Und der Mut in der Bibel? Ja, da gibt es viele mutige Menschen. Aber das Wort Mut kommt nur selten vor. Im 2. Korintherbrief lesen wir: „Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten um Christi, denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.“ (2. Korinther 12,10)
Guten Mutes“ sein. Eine Haltung in schweren Zeiten. Ich lasse mich nicht unterkriegen. Ich habe Hoffnung. Ich bin tapfer und stark. Auch angesichts von Nöten, Verfolgungen … und Ängsten. Der Mut verbindet sich mit Jesus. Der Mut gewinnt seine Kraft aus der Nähe zu Jesus. Mit Jesus verbunden, weiß ich: ich stehe auf dem richtigen Platz. Mit Jesus verbunden, spüre ich: es lohnt sich mutig zu sein. Mit Jesus verbunden, erlebe ich: meine Ängste werden kleiner. Und: mein Mut wächst.
Guten Mutes sein. Das wünsche ich mir. Und Ihnen auch. Guten Mutes sein. Und geborgen sein in unserem Glauben. Guten Mutes sein, in tiefer Zuversicht für das Leben. Guten Mutes sein und erleben: mein Mut wächst weiter. Gerade dann, wenn ich ihn brauche. Wenn andere ihn brauchen. Guten Mutes sein, gemeinsam mit anderen. Das stärkt meinen Mut.
Guten Mutes sein. Gott darum bitten. Die uns das Leben schenkte. Der voller Liebe in unsere Herzen sieht. Gott bitten: schenk mir täglich neuen Mut für mein Leben. Neuen Mut für die Sorge um die Menschen, die du mir anvertrautest. Schenk mir Mut, meinen Ängsten ins Gesicht zu sehen. Mut, sie vor Dich zu bringen. Und schenk mir auch den Mut, auf die zuzugehen, die mir weh taten. Und auf die, an die ich verletzte.

Ein neues Lied singt es so:

1. Schenk uns Weisheit, schenk uns Mut, für die Ängste, r die Sorgen,
für das Leben heut und morgen: Schenk uns Weisheit, schenk uns Mut.

2. Schenk uns Weisheit, schenk uns Mut, für die Wahrheit einzustehen
und die Not um uns zu sehen. Schenk uns Weisheit, schenk uns Mut.

3. Schenk uns Weisheit, schenk uns Mut für die Zeit, in der wir leben,
für
die Liebe, die wir geben. Schenk uns Weisheit, schenk uns Mut.

4. Schenk uns Weisheit, schenk uns Mut für die vielen kleinen Schritte.
Gott, bleib du in unsrer Mitte. Schenk uns Weisheit, schenk uns Mut.

Ja, gerne ginge ich mit solchem Mut durch die Tage.
Gott
segne uns mit Mut. Mit dem Mut, der aus Gottes Liebe erwächst. Mit dem Lebensmut. Alle Tage neu.

 

Hiltrud Warntjen, Pfarrerin i.R.