Liebhaber des Lebens

Pfarrer Jürgen Schwartz

Liebe Leserinnen und Leser,

beim Trauergespräch sagt einer: Er sei ein „Liebhaber des Lebens“ gewesen; er war einer, der die Betrachtung des alltäglichen Lebens zu  seiner Leidenschaft gemacht habe.
Gemeint ist Matthias Claudius. Ihm verdanken wir auch das Lied „Der Mond ist aufgegangen“; ein Gedicht, ein Lied – nicht nur für Kinder; es sind Verse voller Vertrauen und Weite; Worte, in denen man sich geborgen wissen kann.

Matthias Claudius wuchs als viertes Kind eines Pfarrers in Schleswig-Holstein auf. Da ihm das Studium der Theologie und Juristerei zu abstrakt und abgehoben ist, wird er Redakteur des „Wandsbeker Boten“, einer Zeitung, die in der Nähe von Hamburg erscheint. Die Arbeit als Journalist wird ihm zur Berufung.

Schreiben – das kann er. Alles, was ihm begegnet, wird ihm zum Anstoß seines Denkens und Dichtens. So finden sich in seinem Werk neben Briefen und Gedichten auch politische Reflexionen, Naturbetrachtungen und humoristische Verse. Er spricht einfach und menschennah über seinen christlichen Glauben.

Empfind- und achtsam ist er. Wie ein Kind achtet er auf das, was ihm unterwegs begegnet, bleibt stehen, staunt und lässt sich von unserer Mit-Welt anrühren.

So wird ihm auch der Mond zum Gleichnis für das Betrachten von Menschen. In Strophe 3 heißt es: „Seht ihr den Mond dort stehen? Er ist nur halb zu sehen und ist doch rund und schön. So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsre Augen sie nicht sehn.“

Was wissen wir wirklich voneinander? Von den Wünschen und Sehnsüchten unseres Gegenübers? Von den Hoffnungen und Zweifeln? Welches Bild haben wir voneinander? – Wie leichtfertig sprechen wir manchmal ein Urteil über andere, obwohl wir kaum die Beweggründe, die Umstände und die Lebensgeschichte unseres Gegenübers kennen?!

Matthias Claudius mahnt zur Vorsicht und will hellhörig machen. Unsere Mit-Menschen sind noch viel mehr als nur das, was wir vordergründig von ihnen wahrnehmen oder was man uns von ihnen erzählt.

Der wohlwollende und fürbittende Blick auf unsere Mit-Menschen kommt auch in der letzten Strophe zum Tragen: „So legt euch denn, ihr Schwestern und Brüder, in Gottes Namen nieder; kalt ist der Abendhauch. Verschon uns, Gott, mit Strafen und lass uns ruhig schlafen. Und unsern kranken Nachbarn auch!“

Nach einem erfüllten Leben stirbt Matthias Claudius, dieser Liebhaber des Lebens mit einem weiten Herzen, 75-jährig im Kreis seiner großen Familie am 21. Januar 1815 in Hamburg.

Ob gesungen oder gesprochen, ob laut oder leise, ob voller Inbrunst vorgetragen oder vorsichtig tastend gesummt … – die Zeilen laden ein, das eigene Leben neu zu bedenken – gerade auch in Bezug auf unsere Mit-Welt. Bleiben Sie behütet.

 

Zur Person

Jürgen Schwartz ist Pfarrer in den evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden Lastrup und Lindern.