Weltschmerz oder Medienpause?
Ich lese gerne Zeitung. Mit großem Interesse verfolge ich den Lokaljournalismus hier vor Ort und bin ein großer Fan der (internationalen) Presseschau als Podcast. Unzählige male habe ich die schon wärmstens empfohlen, wenn mal wieder jemand stammtischmäßig über „die Medien“ und deren angebliche Einseitigkeit schimpft. Liebe Leute, wir haben nicht nur Pressefreiheit, wir haben Pressevielfalt! Und noch nie war der Zugang zu Qualitätsjournalismus unterschiedlichster Couleur so einfach.
Seit einiger Zeit höre ich allerdings immer häufiger Sätze wie „Ich lese keine Zeitung mehr, das ist mir einfach zu deprimierend, was in der Welt alles los ist.“ Und das fand ich immer schade. Vor allem, weil das durchaus von Zeitgenossen kam und kommt, die meines Erachtens besonders spannende Gesprächspartner sind. „Gerade weil so viel los ist in der Welt, müssen wir doch dahin schauen, wo es unangenehm ist!“ So mein bisheriger von einem gewissen Unverständnis begleiteter Gedanke dazu.
Als ich aber vor knapp drei Wochen von der Attacke in Doha (ja, das war ja auch noch, falls Sie es in der Nachrichtenflut schon gar nicht mehr präsent haben), russischen Drohnen im polnischen Luftraum und dem Attentat auf Charlie Kirk gelesen habe, wurde es auch mir einfach zu viel. Weltschmerz habe ich empfunden (klingt ein wenig melodramatisch, aber wenn der Wortschatz der deutschen Sprache schon solche Kleinode bereitstellt, müssen sie doch hin und wieder hervorgeholt werden, oder?). Ich fühlte mich wirklich niedergeschlagen. Auf meine Sorge, „Wenn nun auch noch bürgerkriegsähnliche Zustände in den USA folgen, dann aber gute Nacht, Marie!“ empfahl mir jemand eine Medienpause. Das müsse hin und wieder mal sein fürs Gemüt. Nach anfänglichem Zögern habe ich das dann gemacht: Eine Woche lang keine Zeitung und keine Nachrichten.
Und leider muss ich festhalten (auch wenn der Redaktion das vermutlich nicht gefällt): Das tat tatsächlich gut. Den Krisen in der Welt zu sagen, „Macht mal ein paar Tage ohne mich weiter“, war richtig angenehm. Aber kann es das wirklich sein? Dass diejenigen, die (aktuell) auf der Sonnenseite der Welt leben, den Blick von den düsteren Flecken abwenden, weil er unangenehm fürs Gemüt ist? Ist so ein Biedermeier 2.0 nicht zynisch?
Eine Sache jedenfalls ist mir aufgefallen: Mein morgendliches Fürbittengebet ist in diesen Tagen oberflächlicher geworden. Weniger auf das konkrete Tagesgeschehen bezogen, denn das habe ich schließlich bewusst ausgeblendet. Doch genau da, so ist mir nun klar geworden, gehört der Weltschmerz doch hin, denn dort kann er geteilt werden: Als Klage vor den, der als einziger die Welt in ihrer Gesamtheit sieht. Oder um mit den Worten von Paul Verlaine zu schließen: „Wir sehen nur einen kleinen Ausschnitt der Welt. Gott muss viel verzweifelter sein.“
Johannes Rohlfing, Pfarrer in Friesoythe