Andachten

#mahlganzanders

Zuletzt aktualisiert am 25. April 2023

Leonardo da Vinci. Berühmter italienischer Maler. Viele, sehr viele Menschen kennen sein Abendmahlsbild. Gemalt in den Jahren 1494-1498. „Das letzte Abendmahl“, so sein Titel. Christus und die 12 Jünger. Zu Tisch. Bartholomäus, Jakobus, Andreas, Simon Petrus, Judas und Johannes auf der einen Seite, Thomas, Jakobus, Philippus, Matthäus, Thaddäus und Simon auf der anderen Seite. In der Mitte der Tafel: Jesus.

Das Bild zeigt den Moment, als Jesus während des Essens zu ihnen spricht: „Amen, ich sage euch: Einer von euch wird mich ausliefern. Da wurden sie sehr traurig und einer nach dem andern fragte ihn: Bin ich es etwa, Herr? Er antwortete: Der die Hand mit mir in die Schüssel eintunkt, wird mich ausliefern. Der Menschensohn muss zwar seinen Weg gehen, wie die Schrift über ihn sagt. Doch weh dem Menschen, durch den der Menschensohn ausgeliefert wird! Für ihn wäre es besser, wenn er nie geboren wäre. Da fragte Judas, der ihn auslieferte: Bin ich es etwa, Rabbi? Jesus antwortete: Du sagst es.“

Leonardo zeigt den Verrat. Den Verräter. Noch sitzt der mit am Tisch. Mit dem Geldbeutel in der Hand. Alle anderen sind schockiert. Entsetzt. Das kann doch nicht wahr sein! Einer von ihnen ist ein Verräter. Wird Jesus verraten. An die Römer. An die Besatzungsmacht. Das fröhliche Mahl endet. Man geht auseinander. Nicht alle bleiben bei Jesus. Bleiben an seiner Seite. In seiner Nähe. Der Verrat macht Angst.

Am Gründonnerstag diesen Jahres (6. April 2023) war ich dabei. In Osnabrück. Aus einer Lostrommel zogen wir unsere Rollen: Bartholomäus war ich nun. Am linken Kopfende der Abendmahlstafel. Nach 6 Stunden Üben und Proben stellten wir an 9 verschiedenen Orten in der Innenstadt und in einer Kirche das berühmte Bild nach. Mit 13 Klappstühlen und 2 Tapeziertischen, 13 Tellern und 13 Gläsern. Mit zwei Glaskrügen und vier Körben mit Brot und Trauben. Im Gänsemarsch ging es von Spielort zu Spielort.

Zuerst wurden die Tische platziert. Wir setzten uns in einer Reihe auf die Stühle. Die Tische wurden aufgestellt. Weit vor der Stuhlreihe. Dann wurde ein langes Tischtuch ausgebreitet. Das gehörte zu meinen Aufgaben. Dann kam das Teller-Aufdeck-Team, dann die Glas-Aufstellerinnen. Zum Schluss die beiden, die das Essen auftragen. Und dann, endlich, Jesus. Der feierlich den Kelch und ein Brot auf den Tisch legte. Sich setzte. Wir Jüngerinnen setzten uns dazu.

Ein fröhliches Mahl begann. Zusammen essen und trinken. Endlich. Der Weg war so weit gewesen, der Tag so lang. Es war heiß gewesen. Da kommt eine Erfrischung gerade richtig. Eine Stärkung. Dieser köstliche Wein, hmmm. Ach, Jesus macht den besten Wein. Hochzeitswein. So lecker. Köstlich. Ein Hoch auf Jesus. „Auf das Leben!“ „Auf die Liebe!“ Wir prosten uns zu.

Je öfter wir spielen, desto mehr mischt sich Dunkles ein. Dunkle Ahnungen. Vorahnungen. „Ich habe das Gefühl, Jesus lässt uns bald allein.“ „Wieso? Wie kommst Du denn da drauf?“ „Was soll schon sein?“ „Ach Judas, wie gut, dass Du das Geld verwaltest!“ Je länger, je öfter wir spielten, desto mehr Wehmut stellte sich ein: „Ach, es könnte das letzte Mal sein.“ Noch einmal ein kräftiges Zuprosten, dann rufe ich laut „Ja!“ und friere ein. Erstarre in meiner Bewegung. Und alle anderen auch. In vier Sekunden verwandeln wir uns in das Abendmahlsbild von Leonardo. Halten. Halten. Halten es.

Bis schließlich ein Jünger zu summen beginnt. Nach und nach summen alle. Werden lauter, schriller. Bis ein unerträglicher Klang zu hören ist. Bis Judas es nicht mehr aushält. Er nimmt seinen Geldbeutel und haut ihn auf den Tisch. Der schrille, laute Ton bricht ab. Judas steht abrupt auf und verlässt die Tafel. Stellt seinen Stuhl weg vom Tisch. Und sich selbst mit dem Rücken zu uns. Erschrocken schauen wir uns an. Die Gemeinschaft ist zerstört. Zerbrochen. Wir stehen ebenfalls auf, nehmen unsern Stuhl und stellen uns zu Judas.

Nur Jesus bleibt sitzen. Allein. Von Mal zu Mal kann ich es schlechter aushalten. Ihn da allein am Tisch sitzen zu wissen. Ohne uns. Seine Jünger und Jüngerinnen. Wir hören, wie Jesus den Kelch einpackt in seine Tasche. Und das Brot. Wie er sich zu uns stellt mit seinem Stuhl. Es dauert – gefühlt – viel zu lange. Wir setzen uns. Denn nun wird abgedeckt. Zuerst das Essen, die Gläser, die Teller. Schließlich decke ich mit meinem Partner das Tischtuch ab, lege es sorgfältig zusammen, verstaue es in meiner Umhängetasche.

Die Tische werden zusammengeklappt. Wir klappen unsere Stühle zusammen, nehmen unsere Siebensachen, ziehen weiter zum nächsten Spielort. Es war jedes Mal anders. Für mich wurde es immer ernster. Immer näher. Mich berührender. Nachfolge, so spürte ich, so lernte ich hautnah, war keine leichte Sache. Mit Jesus unterwegs sein war ganz schön hart. Ganz schön anspruchsvoll. Und auch ungeheuer intensiv. Und beglückend.

#mahlganzanders! Ob wir das vielleicht auch mal hier in Vechta gestalten können? Geeignete Orte haben wir genug, finde ich. Es bräuchte nur genügend Freiwillige. Als Darstellerinnen. Und als Begleiter. Was meinen Sie?

Hitrud Warntjen, Pfarrerin i.R.