Ganz unverhofft ist jemand plötzlich da
Sie ist auf einer großen Tagung. Mehrere hundert Menschen sind in der Stadt unterwegs. Sie hat sich ihr Programm zusammengestellt und ist auf dem Weg von einem Vortrag zu einem Workshop. Sie geht mitten durch die Menschenmenge und ist doch allein. Wie in einer Blase, abgeschlossen gegen ihre Umgebung. Sie will es auch gar nicht anders. Sie trägt viel mit sich herum. Die große Enttäuschung tut immer noch weh. Da birgt jede Begegnung die Gefahr einer neuen Verletzung. Sie hatte sich ihr Leben in rosigen Farben vorgestellt. Alles kam anders. Es ist aus und vorbei. Wie es weitergeht für sie, ist nicht klar.
In ihre Gedanken versunken, hört sie eine Stimme: „Hallo, wir haben uns ja lange nicht gesehen!“ Plötzlich steht eine Frau vor ihr, die sie kennt. Es ist eine Weile her, und äußerlich haben sie sich beide verändert. Aber die Stimme ist ihr vertraut – und beim näheren Hinsehen auch das Gesicht, vor allem die fröhlich blitzenden Augen. Ihre alte Bekannte ist plötzlich da, und offenbar will sie es bei einem kurzen Gruß nicht bewenden lassen.
Also gut: Sie suchen sich eine Bank im Schatten und besorgen sich einen Kaffee. Langsam schmilzt das Eis zwischen ihnen, auf beiden Seiten. Sie fangen an zu erzählen. Was geschehen ist, seit sie sich das letzte Mal begegnet sind. Aus der vorsichtigen Scheu zu Beginn wird große Offenheit. Auch das, was nicht gelungen ist, sprechen sie an. Die Enttäuschungen, die Verletzungen, die Wunden, die immer noch weh tun.
Es tut so gut, die Nähe eines Menschen zu spüren, der einem nah ist. Der zuhört. Der sich interessiert. Der versteht. Wie gut, dass sie diese Begegnung festgehalten hat, dass sie nicht weitergegangen ist. Dass sie die anfängliche Fremdheit überwunden hat. Sie findet noch gar nicht die richtigen Worte dafür. Ihr wird warm ums Herz. Vielleicht hüpft ihr Herz auch ein klein wenig vor Freude. Sie ist einfach froh. Dieser Moment tut so gut. Sie ahnt es: Diese Begegnung wird sie verändern. Sie wird neue Türen öffnen.
Eingeschlossen hatten sich die Freunde und Freundinnen Jesu nach seinem Tod. Sie waren enttäuscht und wussten nicht, wie es weitergehen sollte. Da halfen auch die Gerüchte nichts, dass er auferstanden sei. Doch ganz unverhofft ist er plötzlich da. Wie auch immer er den Weg zu ihnen gefunden hat durch die verschlossene Tür. Er zeigt ihnen die Spuren seiner Kreuzigung. Kein Zweifel, er ist es. Die alte Vertrautheit ist da. Die Freundschaft. Er lebt. Er sagt: „Friede sei mit Euch!“ Das fühlt sich unendlich gut an. Das wird alles verändern. Sie sind froh.
(nachzulesen in Johannes 20,19 und 20)
Martina Wittkowski, Kreispfarrerin im Ev.-Luth. Kirchenkreis Oldenburger Münsterland