…denn wir wissen nicht, was wir tun…
Es verbreitet sich wie ein Lauffeuer: Er kommt in diese Stadt. In diese kleine Hauptstadt, die gar keine richtige Hauptstadt ist, weil die, die hier herrschen, Marionetten sind eines anderen Potentaten in jenem großen Rom, der nach uns kleinen Leuten nicht fragt. In diese Stadt, Jerusalem, kommt dieser Wanderprediger aus Nazareth, dieser Jesus, von dem man schon so viel Gutes gehört hat.
Man erzählt sich: Er ist der eine, der nach uns kleinen Leuten fragt, der interessiert zuhört, der sich der kleinen Sorgen annimmt und die großen Fragen beantwortet. Es heißt, er sage: „Gott will, dass es seinen Kindern gut geht, und dass Gott das durchsetzt, das beginnt jetzt.“ Es heißt, dass er Kranke gesund gemacht hat, und den Lazarus, der schon tot war, soll er ins Leben zurückgeholt haben.
Man erzählt sich auch: Dieser Jesus gibt denen, die uns klein machen wollen Kontra. Denen zum Beispiel, die uns alle Tage im Namen Gottes sagen, was wir nicht dürfen, und aus unserem ganzen Leben zu einem Korsett aus Verboten machen. Als wenn wir das noch brauchten, wo die Römer schon genug verbieten. Aber so sind sie, die da oben: Stellen Regeln auf, die nur ihnen nutzen, und fragen nicht danach, wer die Kosten zahlt. Das sind eben nur wir, die vielen Kleinen, und wir können nichts dagegen tun. Denn wir müssen irgendwie überleben, schuften für kärglichen Lohn und zusehen, dass wir andere übervorteilen, um nicht selbst übervorteilt zu werden.
Aber er: er wird was tun. Er hat ja schon begonnen, hat sich mit den Gesetzeshütern angelegt: „Gott hat die Gebote für die Menschen gemacht, nicht die Menschen für die Gebote“, hat er ihnen gesagt. Und jetzt kommt er hierher, in diese kleine Stadt, die eine Hauptstadt ist, wird tun, was wir uns nicht trauen, wird ein Ende machen mit der Macht unserer Sklaventreiber. Kommt, wir gehen ihm entgegen und schwenken Palmzweige, rollen ihm den roten Teppich aus, wie es einem einziehenden König gebührt. Seine Stärke wird aus uns endlich die Starken machen.
Als er in diese Stadt kommt, um, wie wir, hier das Fest der vorzeitlichen Befreiung zu feiern, sieht es allerdings nicht aus, wie der historische Moment, auf den wir hofften. Auf einem Esel kommt er geritten, wie ein Bäuerchen aus dem Umland, ohne Pracht, ohne Pomp. Erst einmal kein großer Auftritt, aber das kann ja noch kommen. Wenn er erstmal da ist und tut was wir wollen. Wenn er auf den Tisch haut mit der Faust, die wir selbst nur in der Tasche ballen.
Dann ist er dort, in Jerusalem, und fast nichts geschieht. Er redet viel mit den Autoritäten und mit allen. Wieder einer, der nur redet? Einmal schlägt er doch mit der Faust auf den Tisch: auf den Tisch der Wechsler und Händler im Tempel. Wir finden: Es trifft wieder die Falschen, wieder die kleinen Leute, die irgendwie ihr Auskommen suchen. Wieder einer, der den Kampf für große Ziele auf dem Rücken der kleinen Leute austrägt?
Als er verhaftet wird, will sich keiner mehr für ihn stark machen. Die einen murmeln: „Den könnt ihr getrost kreuzigen.“ Die anderen rufen: „Kreuzige ihn!“, enttäuscht, zornig, dass er nicht getan hat, was wir wollen. Auch um zu genießen, dass wir endlich Macht haben. Und sei es auch nur die Macht über den, der sich geweigert hat, in unserem Namen die Macht zu ergreifen.
Jetzt hängt er da am Kreuz und Ruft „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Wir stehen dabei, verstehen nichts und denken: Irgendwas ist hier ziemlich schiefgelaufen. Aber gut: Morgen ist erstmal erst einmal Wochenende, und dann beginnt etwas Neues.
Wolfgang Kürschner
Ev. Gemeindepfarrer und Krankenhausseelsorger in Cloppenburg