Andachten

Das Gute behalten

Zuletzt aktualisiert am 8. Februar 2023

Was soll ich wegwerfen? Weil es Platz in meinem Leben wegnimmt? Weil es Platz für Neues blockiert? Was ist wert, dass ich es behalte? Um diesen Fragen nachzugehen, schaue ich auf den mutmaßlich nächsten Rauswurf, der wieder Platz schafft. Der aber jedes Jahr auch mit ein bisschen Wehmut verbunden ist. Jedenfalls bei mir. Ich meine den Weihnachtsbaum.

Ja, ja, ich weiß. Es ist schon Februar. Unserer steht noch im Wohnzimmer. In den meisten Häusern beginnt irgendwann Anfang Januar das große Aufräumen. Inventur im Wohnzimmer. Der Baum wird abgeschmückt. Zurück bleiben die roten Fröbelsterne aus Papier, die kunstvollen Engel und Sterne aus Stroh. Und die leer gebrannten Kerzenhalter. All das wird geborgen und sorgsam wieder in den Kartons verstaut. Der nadelnde Baum wird hinausgeworfen.

„Prüfet alles und das Gute behaltet.“ (1.Thess 5,21) Wenn das mit unseren Gedanken und Gefühlen doch auch so einfach wäre! Wie geht es Ihnen mit all den Umbrüchen und Veränderungen in diesen Zeiten? Was wollen Sie behalten? Und aufbewahren in den Kartons und Schubfächern ihres Herzens? Und was muss dringend raus, eh sich ein Nadelteppich auf unserer Seele bildet?

„Prüfet alles, das Gute behaltet.“ So rät der Apostel Paulus. Was fehlt uns in der letzten Zeit? Eine gewisse Sorglosigkeit. Ein Vertrauen in die Zukunft. Vielleicht auch die ungezwungene, ausgelassene Gemeinschaft, so wie früher. So vieles fiel so lange einfach aus. Ersatzlos. Liebgewonnene Termine im Jahreslauf fehlten. Feste, Ausflüge, Feiern, Partys oder einfach auch nur das ungezwungene Beisammensein nach dem Training. Mit den entsprechenden Folgen: Manches Vorhaben kam nicht weiter. Mancher Faden scheint ganz abgerissen. Wichtige Gespräche fanden nicht statt. Begegnungen fielen aus. Ja, manche Freundschaft bestand die harte Probe nicht. Wie damit umgehen?

„Prüfet alles, das Gute behaltet.“ Ich frage Paulus: „Was war das denn bei Euch damals?“ Wahrscheinlich antwortete er wohl ungefähr so: „Naja, erst einmal gab es Gesetze. An die man sich halten muss. Wie bei euch. Für uns in den christlichen Gemeinden waren Jesu Leben und Worte entscheidend. Jesus war deutlich: Liebe Gott und deinen Nächsten – wie dich selbst. Das höchste Gebot. Jesus hat sich dran gehalten. Hat gebetet und Gottes Wort gepredigt. Hat die einfachen Leute besucht, ihnen zugehört. Mit ihnen gegessen und gefeiert. Hat sie vom Rand in die Mitte geholt und ihnen ihre Würde zurück gegeben. Darum geht es doch: den Menschen ihre Würde geben! Alle sind sie Kinder Gottes.“ Darum:

„Prüfet alles, das Gute behaltet.“ Und dann das, was für uns an oberster Stelle steht, auch in unserm Leben an die erste Stelle setzen. Eine wunderbare kleine Geschichte: Ein Professor brachte in seinen Unterricht ein großes Goldfischglas mit. Füllte es mit einigen großen Steinen, bis das Glas randvoll war. Dann fragte er: „Ist dies Glas jetzt voll?“ Die Studierenden nickten: Ja. In das Glas passte kein einziger weiterer großer Stein. Der Professor holte unterm Tisch eine Tüte mit kleineren Kieselsteinen vor. Schüttete diese vorsichtig über die großen Steine in das Glas. Schüttelte das Glas, sodass die Kiesel durch die großen Lücken nach unten rieselten, schüttete dann nach. Wiederholte das einige Male.

Wieder fragte er: „Ist das Glas jetzt voll?“ Die Studierenden antworteten vorsichtiger: „Wahrscheinlich nicht.“ Da nahm der Professor eine Tüte Sand. Schüttete diesen oben auf das Glas. Schüttelte das Glas vorsichtig, schüttete mehr Sand hinein. Bis das Glas wieder bis oben hin gefüllt war. Fragte wieder: „Ist es nun voll?“ Sie waren nicht sicher. Er holte einen Krug voll Wasser. Schüttete dieses über Sand, Kiesel und Steine, und siehe da: es passte immer noch eine Menge hinein.

„Prüfet alles, das Gute behaltet.“ Mit den großen Steinen beginnen. Die große Kunst besteht darin, herauszufinden: Was sind deine „großen Steine“? Unsere Antworten werden verschieden sein. Diese wenigen großen Steine für dich selbst benennen. Ins Glas deines Lebens füllen. Das Gute behalten. Das Beste zuerst. Die anderen Dinge – „die Kieselsteine, der Sand, das Wasser“ – sind nicht unwichtig. Wesentlich aber ist, die „großen Steine“ zuerst ins Glas zu legen. So viel anderes wird immer noch Platz dazwischen finden.

„Prüfet alles, das Gute behaltet.“ Gerade habe ich meinen Mann gesehen und gedacht: „Wie gut, dass wir uns haben.“ Wie gut, wenn du schweigen kannst oder reden. Wie gut, wenn du spürst, was Liebe ist. Was für ein Segen, wenn du Kraft findest, aufzustehen für das Leben, in Freiheit und Selbstbestimmung. Und Stärke, für das Gute einzutreten und für andere, die dich brauchen. Wenn dich die Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Frieden umtreibt. Das Gute behalten.

Hiltrud Warntjen, Pfarrerin i.R.